Badisches Landesmuseum

Die 80erIntervention: Die Friedensbewegung in Mutlangen

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Die Friedensbewegung in Mutlangen


Chronik

12. Dezember 1979
Verabschiedung des NATO-Doppelbeschluss. Bilaterale Verhandlungen mit der UdSSR zur Rüstungskontrolle werden angestrebt. Andernfalls wird das NATO-Arsenal in Westeuropa mit atomaren Mittelstreckenraketen (Pershing II) „nachgerüstet“

30. November 1981
Letztendlich ergebnislose Abrüstungsverhandlungen zwischen NATO und der UdSSR starten in Genf. Die „Nachrüstung“ der US-Stützpunkte in Westeuropa wird durch Beschlüsse in den nationalen Parlamenten ermöglicht

6. August 1983
Beginn der Aktivitäten verschiedener Aktionsgruppen am US-Stützpunkt in Mutlangen

1.-3. September 1983
„Prominentenblockade“ der Zufahrt zum Stützpunktdurch etwa 1.000 Menschen, darunter zeitweilig auch 150 Prominente (Künstler*innen, Schauspieler*innen, Schriftsteller*innen und Politiker*innen). Petra Kellys Teilnahme sichert der Aktion weltweite Sichtbarkeit

Einrichtung einer „Pressehütte“. Die improvisierte Infozentrale der Protestierenden sorgt für ständigen Kontakt zur Presse

4. September 1983
Errichtung eines „Friedenscamps“ durch Friedensaktivisten in direkter Nähe zum Protestort

12. September 1983
Polizeiliche Räumung des „Friedenscamps“ Der Mutlanger Bürgermeister fordert sie mit der Begründung ein, das Feld sei ausschließlich für die militärische Nutzung bestimmt

22. Oktober 1983
Menschenkette von Stuttgart nach Neu-Ulm entlang der B10.Von den etwa 400.000 Demonstrierenden kommen 1.000 aus Mutlangen und Schwäbisch-Gmünd

22. November 1983
Der Bundestag stimmt dem NATO-Doppelbeschluss zu

26. November 1983
Der erste Konvoi mit Pershing II-Raketen erreicht Mutlangen


Mutlangen


Medien

Ein Ziel der Blockadeaktion von Mutlangen ist das Erregen der öffentlichen Aufmerksamkeit auf die geplante Stationierung der Pershing II-Raketen. Besonders promiente Mitglieder, wie die Literatur-Nobelpreisträger Heinrich Böll und Günther Grass oder Politiker*innen wie Petra Kelly und Oskar Lafontaine, verschaffen der Aktion ein Interesse der Presse. In der „Pressehütte“ werden Journalist*innen Schreibmaschinen und Telefone von den Friedensaktivist*innen bereitgestellt. Nicht alle Mutlanger*innen sind begeistert über die Medienaufmerksamkeit, die ihrer Gemeinde zu Teil wird. Zu einer Räumung der Blockade, die ein Medienspektakel nach sich ziehen würde, kommt es aber nicht.

In den Artikeln und den Leserbriefen in der Presse zeigt sich ein gemischtes Meinungsbild zur Protestaktion. Klicken Sie auf die Bilder, um die Schlagzeilen zu lesen!

Scan einer Schlagzeile: Die verschleiernde Bezeichnung „gewaltfrei“
Scan einer Schlagzeile: „Eine Frau sagt: Mutlanger sind hier nicht viele dabei“
Scan einer Schlagzeile: „Dann sage ich, brich das Gesetz“
Scan einer Schlagzeile: "Der Tag, an dem der Frieden verlorenging. Die Friedensbewegung verliert sich in Strategiedebatten"
Scan einer Schlagzeile: „Raketen bringen keine Sicherheit“
Scan einer Schlagzeile: „WENN ES HEUTE so ruhig geblieben ist, heißt das noch nicht, daß es ruhig bleiben wird“

Petra Kelly

Petra Kelly ist in den 80er Jahren eine der zentralen Figuren der weltweiten Friedensbewegung. In Deutschland ist sie Gründungsmitglied der Partei „Die Grünen“. Kelly wird mit dem Kampf mit Mitteln des gewaltfreien Protests gegen Atomrüstung und für den Umweltschutz bekannt. Berühmt wurde das Foto von ihr mit Blumenhelm, das während der Prominentenblockade in Mutlangen am 1. September 1983 entstand. Bis heute ist Petra Kelly eine politische Ikone.


1/ Chronik

29. November 1947
Petra Kelly wird in Günzburg geboren

1972 - 1979
Parteimitglied in der SPD. Wegen Helmut Schmidts Position zum NATO-Doppelbeschluss tritt Kelly aus der Partei aus

13. Januar 1980
Die Partei Die Grünen wird in Karlsruhe gegründet. Kelly gehört zu den Gründungsmitgliedern und wird später in den Bundesvorstand gewählt

6. März 1983
Die Grünen werden bei der Bundestagswahl erstmals ins Parlament gewählt. Kelly erhält ein Mandat im Bundestag

1-3. September 1983
Blockade des US-Stützpunktes in Mutlangen. Unter den Friedensaktivist*innen ist auch Petra Kelly

(vermutlich) 1. Oktober 1992
Kelly wird von ihrem Lebenspartner und politischen Weggefährten Gert Bastian getötet, der sich anschließend selbst hinrichtet. Die Hintergründe der Tat sind bis heute nicht bekannt


2/ Petra Kellys Blumehelm

Der von Kelly bei der Demonstration in Mutlangen getragene blumenverzierte Plastikhelm, stellt eine ironische Brechung des eigentlich mit Krieg assoziierten Soldatenhelms dar, dem die aufmontierten Blumen alles Martialische nehmen. Sie sind in das Netz des Helms eingefädelt wurden. Sonnenblumen finden sich nicht nur im Logo der Grünen-Partei, sondern stehen in vielerlei Medien symbolisch für einen klima-, menschen- und umweltfreundlichen Aktivismus.


3/ Petra Kelly als politische Ikone heute

Noch heute ist Petra Kelly als politische Ikone der Friedens- und Umweltbewegung bekannt. Ihr Abbild findet etwa als Pop-Art oder im Stil eines Graffito auf Social Media ein reges Nachleben in der Populärkultur der Gegenwart. Kelly steht dabei häufig als Symbol für die politische Ideale und Schwerpunkte der Anfangsjahre der Partei „Die Grünen“ in den 80ern. Teilweise wird die Erinnerung an Kelly als Kontrast zur heutigen politischen Ausrichtung der Grünen genutzt.


4/ Petra Kelly im Comic

Petra Kellys Lebensgeschichte ist Gegenstand literarischer Werke und Comics. Zum 30. Todestag 2022 widmete die Heinrich Böll-Stiftung der Friedens- und Umweltaktivistin eine Graphic Novel als Bilderbiografie.

Hier geht's zur Graphic Novel!


Symbole

Ideen und Ziele sozialer Bewegungen werden vielfach in Symbolen visuell vermittelt. Sie dienen als Erkennungszeichen und Ausdrucksmittel einer dezidierten Haltung. Durch ihre Verbreitung, sei es als Aufkleber, Sticker oder auf Plakate, wirkt eine Bewegung in die Breite und erlangt Sichtbarkeit. Symbole signalisieren: „Ich vertrete diese Ansicht“.

Klicken Sie auf die Symbole, um mehr zu erfahren!

Button mit dem Schriftzug "Schwerter zu Pflugscharen" um das dazugehörige Symbol
Gehisste Regenbogenflagge
Peace-Symbol
Ansteckbutton mit einer weißen Friedenstaube auf blauem Hintergund
Lachende Sonne mit dem Schriftzug "Atomkraft? Nein danke"
Illustration von zwei Händen, die je einen Teil eines zerbrochenen Gewehres halten.
Militärhelm, der mit Blumen verziert ist.

Ziviler Ungehorsam

Ziviler Ungehorsam wird in den 80ern zumeist verstanden als gewaltfreier Widerstand und als eine Form des Protests, der Bürgerbewegungen bis heute prägt. Die typischen Aktionsformen sind Blockaden, Hungerstreiks, Boykotte oder Menschenketten.

In den 80ern war diese verhältnismäßig neue Protestpraxis noch erklärungsbedürftig. Das vom Deutschen Gewerkschaftsbund herausgegebene politische Jugendmagazin ran, gibt im Oktober 1983 eine Extraausgabe zum Friedensprotest in Deutschland heraus.

Hier können Sie das Magazin als PDF-Datei herunterladen.


Die Intervention erarbeiteten Masterstudierende des Ludwig-Uhland-Instituts für Empirische Kulturwissenschaft der Universität Tübingen im Rahmen des Seminars "Petra Kellys Helm" im Sommersemester 2023.

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