Provenienzforschung
Das Badische Landesmuseum ist ein kulturhistorisches Museum, das von der Urgeschichte bis in die heutige Zeit kunstgewerbliche Objekte verschiedener Gattungen sammelt und bewahrt.
Seit 2010 betreibt das Badische Landesmuseum intensiv Provenienzforschung. Dr. Katharina Siefert (Referat Kunst- und Kulturgeschichte) untersucht dabei Objekte, die vor 1945 entstanden und nach 1933 vom Badischen Landesmuseum erworben wurden. Dabei gilt es zu überprüfen, ob diese während des NS-Regimes unrechtmäßig entzogen wurden.
Die intensive Forschungsarbeit von Dr. Katharina Siefert verdeutlicht seither: Provenienzrecherche ist keine schnell lösbare Aufgabe, sondern ein fortschreitender Prozess, der eine lange Zeit in Anspruch nehmen kann. Im Idealfall wird aus einem „offenen“ Provenienzstatus ein „unbedenklicher“.
2013 wurde diese Forschungsstelle von Dr. Katharina Siefert am Badischen Landesmuseum verstetigt und dadurch personelle Kontinuität gewährleistet.
Zahlreiche Objekte, deren Eigentümer*innen bislang nicht eruiert werden konnten, sind in der Datenbank Lost Art eingestellt.
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Referat Kunst- und Kulturgeschichte, Kuratorin Renaissance 1500-1700; Provenienzforschung
E-Mail schreibenJudaika-Sammlung online im Digitalen Katalog
Zum Tag der Provenienzforschung am 12. April 2023
Das Badische Landesmuseum bewahrt einen Judaika-Bestand, der eine kleine Auswahl an Objekten aus dem jüdischen Kultus darstellt. Von den 28 Objekten wurden 15 um das Jahr 1900 für das damalige Kunstgewerbemuseum und zwei Objekte für die „Vaterländische Altertümersammlung“ in Karlsruhe erworben. Beide Institutionen bildeten mit ihren Beständen ab 1919 das Badischen Landesmuseum. In den 1920er Jahren war zudem ein „synagogaler Raum“ zur Präsentation der Judaika geplant, der letztlich nicht zu Ausführung kam. Dennoch wurden weiterhin entsprechende Ankäufe getätigt, so z.B. im Jahr 1931 ein sogenanntes „Kippurbuch“ und eine „Beschneidungsbinde“. Die unterschiedlichen Objekte spiegeln den Wunsch nach einem Sammlungsaufbau aus dem Bereich des jüdischen Kunstgewerbes wider.
Wenige weitere Judaika, die in den Inventarbüchern nachgewiesen sind, befinden sich heute nicht mehr im Sammlungsbestand. Von zehn Objekten wiederum sind die ursprünglichen Inventarnummern verloren und deshalb sind Zeitpunkt und Verkäufer*innen dieser Gegenstände unbekannt. Sie wurden nachinventarisiert und mit einer R-Inventarnummer versehen. Ihr Provenienzstatus ist offen, Hinweise auf einen etwaigen unrechtmäßigen Entzug konnten nicht gefunden werden.
Rechtmäßige Erwerbung eines Taufschleiers
1969 wurde ein Taufschleier aus Brüsseler Klöppelspitze vom Badischen Landesmuseum erworben. Auffällig war, dass der Schleier, der sich 1931 im Eigentum von Elisabeth Wolff-Merck befand, 38 Jahre später von einer Elisabeth Albrecht an das Museum verkauft worden war. Wurde Elisabeth Wolff-Merck, die Gattin des politisch missliebigen Verlegers Kurt Wolff, in der NS-Zeit verfolgt? Verlor sie ihre Vermögenswerte, also auch den Schleier? Durch ihre Nachforschungen konnte die Provenienzforscherin Dr. Katharina Siefert eindeutig nachweisen, dass Elisabeth Wolff-Merck und Elisabeth Albrecht ein und dieselbe Person sind. Elisabeth Wolff-Merck aus der Familie der Pharma-Dynastie Merck war in erster Ehe mit Kurt Wolff, einem bedeutenden Verleger expressionistischer Literatur, verheiratet. Während dieser 1933 Deutschland verfolgungsbedingt verlassen musste und in New York den Kunstverlag Pantheon Books gründete, verblieb Elisabeth in Deutschland. Bereits 1931 hatte sie in zweiter Ehe den Münchener Hans Albrecht geheiratet. Der Schleier aus dem Jahre 1775 befand sich somit fortwährend in ihrem Eigentum, so dass auch der Verkauf an das Badische Landesmuseum rechtmäßig war.
Webpräsentation "Spitzenstück - Zur Herkunft eines Schleiers"
Weitere Informationen zu Kurt Wolff und seiner Tätigkeit als Verleger finden Sie hier.
Bildergalerie
Elisabeth Wolff, geb. Merck mit Kurt Wolff, Fotograf Frank Eugene, Leipzig, nach 1914, Fotografie nach Glasnegativ, Lizenz CC BY-SA; Quelle: Foto Deutsches Museum München
Detail Taufschleier aus Brüsseler Klöppelspitze, 1775
Detail Taufschleier aus Brüsseler Klöppelspitze, 1775
Zunftzeichen der Schreiner von Siegfried Lämmle
Am 6. Mai 2019 gab das Badische Landesmuseum die Restitution eines Schreiner-Zunftzeichens aus dem Eigentum des bedeutenden Kunsthändlers Siegfried Lämmle aus München an dessen Nachfahren in den USA bekannt.
Das Badische Landesmuseum erwarb das Zunftzeichen im Juni 1942 auf der Auktion der Kunsthandlung Gebrüder Albrecht in Baden-Baden. Die Herkunft des Objektes konnte nun durch proaktive Provenienzrecherche aufgeklärt werden: Bei intensiven Nachforschungen stieß Dr. Katharina Siefert, Provenienzforscherin am Badischen Landesmuseum, auf die Nennung des Objektes in einem Auktionskatalog von Adolf Weinmüller in München. So konnte sie Siegfried Lämmle als Einlieferer und Eigentümer ermitteln und das Zunftschild eindeutig zuordnen. Lämmle war jüdischer Herkunft und aufgrund des Berufsverbotes gezwungen, das Objekt unter Wert zu verkaufen. Eine im Oktober 1945 vom Museum an die Alliierte Militärregierung in Karlsruhe übergebene "Liste der ob ihrer Herkunft zweifelhaften Ankäufe in den Jahren 1938-1945" bestätigt darüber hinaus, dass dem Museum einst bewusst war, dass es sich um ein NS-verfolgungsbedingt entzogenes Objekt handelte. Diese Zusammenhänge konnten durch die Forschungsarbeit belegt werden.
Die Nachfahren Siegfried Lämmles haben als rechtmäßige Eigentümer entschieden, das Zunftschild aus Holz dem Badischen Landesmuseumanzubieten. Das Museum hat das Objekt nun rechtmäßig erworben, so dass es dauerhaft im Museumsbesitz verbleibt.
Numismatische Sammlung Sigmann-Seidel
Im Badischen Landesmuseum konnten insgesamt 25 Münzen und Medaillen als in der NS-Zeit unrechtmäßig entzogen identifiziert werden. Sie wurden durch proaktive Recherche entdeckt. Das Museum hat die in den USA lebende rechtmäßige Eigentümerin über den Fund informiert und die Objekte zur Restitution angeboten. Die erbberechtigte Enkelin hat entschieden, die Sammlung „in natura“ anzunehmen. Die Münzen wurden am 23. Juni 2017 an ihren Sohn in Vertretung seiner Mutter, der rechtmäßigen Eigentümerin, ausgehändigt.
Die Sammlung Sigmann-Seidel umfasste ursprünglich 54 Münzen und Medaillen. Diese mussten 1939 von der damaligen Eigentümerin Clara Sigmann über das Zollamt Mannheim an das Münzkabinett des Badischen Landesmuseums als sogenannte Schenkung abgegeben werden. Aufgrund ihrer jüdischen Herkunft wurde Clara Sigmann durch das NS-Regime verfolgt und ihrer Vermögenswerte beraubt. Sie zog zu ihrer Tochter nach Mannheim, wo sie bis März 1939 blieb. Über Buenos Aires gelang Clara Sigmann, nun verheiratete Seidel, schließlich die Flucht in die USA. Im Rahmen des von ihr angestrebten Rückerstattungsverfahrens wurden im Jahre 1956 22 Objekte an sie zurückgegeben, für die restlichen, damals unauffindbare Objekte erhielt Clara Seidel einen Schadensersatz. Nun konnten die im Badischen Landesmuseum aufgefundenen Münzen und Medaillen zurückgegeben werden.
Dame in der Theaterloge
Bei Nachforschungen stieß Dr. Katharina Siefert auf Raubkunst aus einstigem Mannheimer Privatbesitz: Seit über 70 Jahren lagern die sechs Gemälde und eine spätgotische Skulptur in einem Depot des Badischen Landesmuseums. Bei ihrer Recherchearbeit im Generallandesarchiv Karlsruhe entdeckte die Wissenschaftlerin eine Auflistung von Gegenständen aus „nichtarischem Besitz“. Da es sich überwiegend um unspezifische Landschaftsbilder und männliche Portraits handelte, erwies sich die Zuordnung als äußerst schwierig. Erst mit dem auffälligen Gemälde „Dame in Theaterloge“ gelang die Identifizierung der Kunstwerke als Raubkunst.
Mit einer Quittung aus dem Jahr 1943 führte diese Spur ins Badische Landesmuseum. Der damalige Direktor der Karlsruher Kunsthalle, Dr. Kurt Martin, bestätigte auf dieser den Empfang der aus jüdischem Vermögen übernommenen Kunstgegenstände. Als Sachverständiger des „Reichserziehungsministeriums für Kunst- und Museumsgut“ in Baden begutachtete Martin zusammen mit der Mannheimer „Verwertungsstelle volksfremden Vermögens“ auch Kunstgut aus jüdischem Eigentum, das vor der Ausfuhr in sogenannten „Lifts“ beschlagnahmt worden war. Er entschied über die Museumswürdigkeit von Objekten, die daraufhin entweder auf dem Kunstmarkt landeten oder – wie in diesem Falle – ins Museum überführt wurden.
Die Nachweise sind deutlich: Die Gemälde und die Skulptur stammen aus der Beschlagnahme von Umzugsgut jüdischer Bürger aus Mannheim, das von Amsterdam nach Mannheim zurückgebracht worden war. Da die Eigentümer bis jetzt unbekannt sind, wurde diese Raubkunst in die Datenbank Lost Art eingestellt.
Uhrensammlung Holzer
Moritz Holzer (geb. 1871) wohnte mit seiner Gattin Hermine und den beiden Söhnen bis 1940 in Pforzheim. In der Schmuckstadt besaß Moritz Holzer eine Ketten- und Ringfabrik.
Vor der Deportation der Familie nach Gurs am 22. Oktober 1940 wurde das Vermögen „verwertet“. Die „sichergestellte“ Sammlung von
124 Taschenuhren verschiedener internationaler Hersteller wurde am 21. März 1941 von der „Verwaltung und Verwertung des jüdischen Vermögens in Baden“ zur Begutachtung an das Badische Landesmuseum überstellt. Dort wurden die Uhren von einem externen Gutachter bewertet und 37 Exemplare vom Badischen Landesmuseum als „sehr wertvolle Ergänzung und Bereicherung des Bestandes“ angekauft. Sie sind mit dem Vermerk „Polizeidirektion Abteilung jüdisches Vermögen Pforzheim“ im Inventarbuch eingetragen. Heute sind sie in der Sammlungsabteilung Baden und Europa im Bereich zum Nationalsozialismus als „Raubgut“ ausgestellt. Die restlichen 87 Uhren kaufte der Karlsruher Uhrmachermeister und Sammler Oskar Hiller.
Nach Deportation und Lagerhaft gelang es Moritz und Hermine Holzer 1945 nach Birmingham zu emigrieren. Dort lebte auch der Sohn Richard, der zuvor in die Schweiz geflohen war. Er bezeugte 1978 in Yad Vashem den Tod seines Bruders Erich, der am 16.9.1942 nach Auschwitz deportiert worden war.
Moritz Holzer stellte einen Rückerstattungsantrag, der 1955 mit einem Vergleich zu Gunsten des Antragstellers in Form einer Schadensersatzzahlung für den entzogenen Hausrat einschließlich der Uhrensammlung beschlossen wurde.
Thronende Madonna
Das erste Ergebnis der 2010 im Badischen Landesmuseum gestarteten Provenienzforschung: Kunsthistorikerin Dr. Katharina Siefert konnte nachweisen, dass die gotische Skulptur „Thronende Maria mit Kind“ (Inv.-Nr. 62/108) einst dem jüdischen Kunsthändler Siegfried Lämmle aus München gehörte. Dessen Sammlung wurde 1938 durch die Nationalsozialisten beschlagnahmt und vom Bayerischen Nationalmuseum übernommen und inventarisiert.
Erst 1950 wurden die Skulpturen an den in die USA emigrierten Siegfried Lämmle zurückgegeben. Nach dem Tod Lämmles gelangten die Sammlungsobjekte durch dessen Erben in den Kunsthandel. 1955 kaufte der Schweizer Industrielle und Kunstsammler Emil G. Bührle die Skulptur. Im Jahre 1962 schließlich trennte sich die Stiftung Bührle von einigen Objekten. Im gleichen Jahr erwarb das Badische Landesmuseum – wie sich nun erweist: rechtmäßig – die „Thronende Maria mit Kind“, die sich heute in der Sammlungsausstellung zum Spätmittelalter befindet.